Panorama Art Prospekt

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Wandabwicklung der Installation, Kunstraum Kreuzberg, Berlin
Ausstellungsbesucher*innen, Worpsweder Kunststiftung Friedrich Netzel
Installationsansicht, Worpsweder Kunststiftung Friedrich Netzel
Installationsansicht (Detail), Worpsweder Kunststiftung Friedrich Netzel
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2010

2-Kanal Videoinstallation, Loop à 20 Min., in Zusammenarbeit mit Gert Bendel

Worpswede damals – der unscheinbare Marktflecken zwischen Bremen und Hamburg entwickelt sich um 1900 zum Inbegriff eines fortschrittlichen Stilwillens. In den darauf folgenden Jahren wird Worpswede zum Entstehungsort einer avantgardistischen, unmittelbaren und antiakademischen Landschaftsmalerei. Berühmte Künstler und Schriftsteller wie Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker, Clara Westhoff, Heinrich Vogeler oder Rainer Maria Rilke siedelten hier. Ihre revolutionäre Künstlerkolonie legte den Grundstein für den Ruf, der Worpswede bis in die Gegenwart vorauseilt, von dem die Gemeinde lebt und zehrt, der aber auch Fragen auslöst. 

Worpswede heute – das Dorf und die Künstlerkolonie im Teufelsmoor sind mittlerweile das, was man als „Brand“ bezeichnet – eine feste Marke, die sich in verschiedener Hinsicht kommerziell bewährt hat und ausschlachten lässt. Zahlreiche Künstler vor Ort versuchen den Heroen der ersten Stunde nachzueifern, manche mit Erfolg. Im Dorf gibt es mehrere Museen und Galerien. Es ist in Deutschland einzigartig, zugleich ist es auch eigenartig, dass eine ganze Gemeinde von und mit der Kunst lebt. 

Der Worpsweder Situation und Szene, die manchmal durchaus komische Momente produziert, haben Dörte Meyer und Gert Bendel einen Film gewidmet. In der Ausstellung zeigen die Künstler ihr Video, das in der vorliegenden Form 2010 entstanden ist, auf zwei großen Flachbildschirmen, inmitten von Originalgemälden der ersten Worpsweder Künstlergeneration und ihrer Nachfolger.*

Dörte Meyer und Gert Bendel haben mit „Panorama Art Prospect“ ein Dokument geschaffen, es ist eine Bestandsaufnahme über die Gegenwart von Kunst und Künstlern in Worpswede, und zugleich eine installative Arbeit, in der sich Mythos und Realität Worpswedes in einer Ausstellung begegnen, denn das Video handelt von großer Kunstgeschichte und der damit verglichen, mehr oder weniger schalen Gegenwart. 

Gert Bendel war für längere Zeit Stipendiat in Worpswede, zusammen mit Dörte Meyer untersucht er auf einfühlende und genau beobachtende Weise die heutige Situation im Kunstdorf: Worpswede wird als Ausflugsziel gerne von historisch und nostalgisch interessierten Besuchern angesteuert, die den Wirkungs- und letzten Ruhestätten der frühen Avantgarde nachspüren, Bootsfahrten und Spaziergänge unternehmen, die zahlreichen Cafés besuchen und die ansässigen Galerien und Künstlerateliers besichtigen. Ziel und Anliegen dieser Besucher besteht vor daher in einer Unterhaltung und Vergnügung durch Kulturwerte. Dieses Bedürfnis wird in Worpswede im Sinne des modernen Tourismusgedankens bedient – dergestalt kann man einer Ausstellungseröffnung beiwohnen, Malkurse belegen und natürlich Kunstwerke erwerben. Für solch ein Paket an Interessen bietet Worpswede den Ausflüglern Vieles, es stellt sich jedoch die Frage, welchen Wert dabei die Kunst eigentlich einnimmt. Sie erscheint vor allem wie ein Gleitmittel für das touristische Gesamtpaket, wobei den ansässigen Künstlern im Film keineswegs ihr Ernst abgesprochen wird. „Panorama Art Prospect “ denunziert nicht, doch zeigt die Videoarbeit, wie ein Moordorf, dessen Einwohner den Künstlern zuerst skeptisch gegenüberstanden, durch die Kunst zu einem touristischen Zentrum geworden ist und wie dies im Alltag funktioniert. Aufgrund einer Ökonomisierung des Kunstgedankens haftet dem Ort mittlerweile etwas äußerst Künstliches an. Angesichts der Suche nach dem echten, einfachen Leben in der Natur, das die Künstler der ersten Generation in Worpswede zu finden hofften, erscheint das Artifizielle, das mit der Entwicklung zum Ausflugsziel eingetreten ist, fast schon kurios und ein wenig absurd, denn den Touristen wird vor allem ein Klischee – die künstliche Oberfläche der Kunst, des Künstlerbildes und des Künstlerdaseins, vorgeführt – das sich auf die Vergangenheit bezieht und dem Geniekult frönt, jedoch mit den tatsächlichen Kunstentwicklungen nur wenig zu tun hat.

Die Leistung des Films besteht darin, dass Dörte Meyer und Gert Bendel mit eher kleinen Beobachtungen, in ruhigen Bildern und in kurzen, intensiven Gesprächen der angesprochenen Thematik nachgehen, die Worpsweder Probleme mit der Kunst und einem der Vergangenheit verpflichteten Künstlermythos aufdecken und sie unaufgeregt  benennen. 

Das Ergebnis ihrer Videoarbeit ist erhellend, denn es zeigt nicht nur, dass ein touristischer Umgang mit Kunst vor allem oberflächlich bleibt (dies gilt übrigens nicht nur für Worpswede, sondern für viele der so genannten Kunstevents), sondern, dass ein solcher, die Kunst vereinnahmender Umgang, letztlich auf die Lebenswirklichkeit einer ganzen Gemeinde umschlagen kann und auf sie abfärbt, so dass man mit Theodor W. Adorno zu der ernüchternden Einsicht gelangen kann, dass es „kein richtiges Leben im Falschen gibt“. 

Peter Funken (Kunstforum International, Bd. 302, Juni 2010)

Die Videoinstallation wurde vom 20. März bis zum 9. Mai 2010 im Künstlerhaus Bethanien in der Ausstellung „Ich weiss was Du nicht siehst“ gezeigt. Bei dieser Präsentation hingen die zwei Flachbildschirme zwischen Originalgemälden der ersten Worpsweder Künstlergeneration. 

Das Projekt wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Kunststiftung Netzel, Worpswede

Ausstellungsbesucher, Worpsweder Kunststiftung Friedrich Netzel

Panorama Art Prospect, Videostill, rechts: Ausstellungsansicht Kunstraum Kreuzberg, Künstlerhaus Bethanien, Berlin

Panorama Art Prospect, Videostill, rechts: Ausstellungsansicht Worpsweder Kunsthalle Friedrich Netzel